Das Land erben

Selig
die nicht siegen müssen
die nicht über ihre Verhältnisse leben
die nicht besitzen wollen, was nicht ihr Eigen ist
die nicht ernten, wo sie nicht gesät haben

Selig
die den Schrei der Schlachthöfe hören
die sich an ihre eichenen Geschwister binden
die sich an die Abbruchkante der Kohle hinstellen
die dem Krieg ihre Gebete entgegenstemmen

Selig
die sich als Gäste der Erde verstehen
die die Samen aus Licht sammeln
die dem Regen danken
die im Reiskorn den Himmel schauen

Sie werden das Land erben

Jacqueline Keune

Farbe bekennen

Ich glaube
an das widerständgie Umbra der Wurzeln
an das unzerstörbare Blau der Himmel
an das beständige Silber des Windes

Noch singt der Berg

Ich glaube
an das unbändige Orange des Amur-Tigers
an das grenzenlose Gelb des Hirsefeldes
an das meuternde Grün des Urwaldes

Noch wächst das Licht

Ich glaube
an das beharrliche Grau der Arbeit
an das trotzende Rot des Aufstands
an das adventliche Weiss des Neuen

Noch atmet die Haut
der Erde

Jacqueline Keune

Oder?

Immer diese Schwarzmalerei –
alles halb so schlimm
Es ist noch immer Frühling geworden
und heiss war es schon früher –
alles halb so schlimm
Die Natur erholt sich von selbst
sonst werden es die Experten richten
Und dann ist ja da auch noch der liebe Gott
Ach, so arg wird es nicht kommen
und Unwetter gab es auch schon immer –
alles halb so schlimm
Runterfallen kann sie ja nicht
oder!

Oder?

Jacqueline Keune

Wettervorhersage

es taut
es tropft
es rinnt
es fliesst
es flutet
es geht unter –

in den Prioritäten
der Mächtigen

es wärmt
es glüht
es brennt
es darrt
es verdorrt
es versandet –

zwischen den Präferenzen
der Mächtigen

Jacqueline Keune

Dein blaues Wunder

Uns in die Hände gegeben
die Hände des Südens
die Hände des Nordens
dein blaues Wunder
es zu hören, es zu hüten
von ihm zu leben

Ein kleiner Vogel
baut sein Nest

Das Lied der Güte
zum Schweigen gebracht
Das Atmende verdingt
An den Meistbietenden
verschachert
das Erbe

dein blaues
dein blutendes
dein weinendes
Wunder

Jacqueline Keune